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Beziehungsorientierte Erziehung

von Martin Bucher

 

 

 

Auch wenn es dir als Elternteil nicht bewusst ist: du wendest in deiner Familie einen bestimmten Erziehungsstil an. Bekannte Erziehungsstile sind zum Beispiel der autoritäre sowie sein Gegenspieler, der anti-autoritäre Erziehungsstil. Oder die Erziehungsstile

  • „Laisser-Faire“ und
  • „demokratisch“ sowie
  • „bindungs- und bedürfnisorientiert“.

 

Wir bei online-familienberater.de vermitteln den beziehungsorientierten Erziehungsstil, der besonders durch die Arbeit des dänischen Familien­therapeuten Jesper Juul bekannt wurde.

 

 

Was ist beziehungsorientierte Erziehung?

 

Der beziehungsorientierte Erziehungsstil nimmt die bewusste Gestaltung einer positiven Beziehungsqualität zwischen Eltern und Kind in den Fokus. Ziel ist ein gesundes Miteinander, durch das sich sowohl Kinder als auch Eltern frei entfalten können.

 

Beziehungsorientierte Erziehung ist eine Haltung, welche das Kind als autonome Person ansieht, der noch Erfahrungen fehlen. Fertige Methoden im Umgang mit Kindern findet man hier vergebens. Als Kompass gibt Jesper Juul den Eltern vier Werte mit auf den Weg, welche die in der Familie vorhandenen Werte ergänzen. Damit ist jede Form des Umgangs mit dem Kind o.k., welche der Haltung und den Werten entspricht. Diese undogmatische Herangehensweise macht die beziehungs­orientierte Erziehung für viele Eltern so sympathisch.

(Willst du mehr über die 4 Werte erfahren, dann lies hier weiter: Die vier Werte von Jesper Juul).

 

Einige Familienberater sprechen auch von „bedürfnisorientiert und beziehungsorientiert“ und meinen einen beziehungsorientierten Erziehungsstil, der um Methoden und Haltungen aus der Gewaltfreien Kommunikation bereichert wurde.

 

 

Abgrenzung zu Attachment Parenting

 

Manche Autoren verwechseln die beziehungsorientierte Erziehung mit der bindungsorientierten Erziehung - Englisch „Attachment Parenting“.

 

Attachment Parentig ist eine bindungsorientierte Haltung sowie Sammlung konkreter Ratschläge, mit denen sich eine gute Bindung zum Baby und Kleinkind herstellen lassen soll. Deshalb ist es naheliegend, dass dort ein großer Schwerpunkt gelegt wird auf Geburt, Stillen, Schlafen, Tragzeiten und allgemein auf den Umgang mit dem Baby.

 

Wird Attachment Parenting undogmatisch betrachtet und fühlen sich die Eltern bei der Umsetzung der Vorschläge gut, dann entsteht daraus eine wunderbare Symbiose und Ergänzung der beziehungsorientierten Erziehung.

 

 

Warum solltest du beziehungsorientiert erziehen?

 

Die beziehungsorientierte Erziehung bringt mehr Leichtigkeit und Entspannung in deine Familie. Besonders bemerkbar macht sich das in Situationen, die früher von viel Stress geprägt waren - wie den Abschied vom Spielplatz, das morgendliche Fertigmachen für den Kindergarten oder das Zu-Bett-Gehen. Aber auch der Familienalltag verläuft viel angenehmer.

 

Kinder fühlen sich gesehen und entwickeln ein stabiles Selbstwertgefühl - ein wichtiges Fundament für ihre sich entfaltende Persönlichkeit. Kinder lernen, Verantwortung für sich und ihren Platz in der Familie und als Jugendliche in der Gesellschaft zu übernehmen und gehen mit einer großen Portion Selbstbewusstsein in die Welt.

 

Konflikte verschwinden durch die beziehungsorientierte Erziehung nicht - das wäre auch unnatürlich und ungesund. Allerdings ändert sich der Umgang mit Konflikten: Wo früher Machtkämpfe und viel Frustration waren, entstehen nun konstruktive Lösungen ohne Verlierer oder Gewinner. Eltern „müssen“ sich nicht mehr lautstark gegen ihre Kinder durchsetzen, nicht mehr mit „Wenn… dann“-Sätzen drohen, nicht mehr mit Belohnungen manipulieren.

 

Du solltest also beziehungsorientiert erziehen, damit auf der einen Seite du dich als Mutter oder Vater entspannen und dich mehr an dem Miteinander erfreuen kannst. Und damit deine Kinder ein gesundes und stabiles Fundament entwickeln können, welches sie ihr ganzes Leben tragen wird!

 

 

Wie funktioniert beziehungsorientiert Erziehung?

 

Für eine gute Beziehung brauchen Kinder Begleitung und liebevolle elterliche Führung. Kinder sind keine Objekte der elterlichen Erziehungskunst, sondern vollständige autonome Menschen, denen es noch an Erfahrungen mangelt. Deshalb sorgen Eltern für den schützenden Rahmen, in dem die Kinder sich ausprobieren können. Das ehrliche Interesse am Leben des Kindes sowie der gute Dialog sind dabei maßgebend. Wir dürfen nicht immer nur Fragen stellen, wir müssen auch zuhören!

 

In der beziehungsorientierten Erziehung gibt es weder Methoden noch fertige Erziehungsrezepte. Natürlich gibt es Empfehlungen, die bei anderen Familien gut funktioniert haben. Aber ansonsten wird jedesmal frisch auf jede Familie geschaut, denn jede Familie ist anders. Als Kompass dienen uns die vier von Jesper Juul geprägten Werte: Integrität, Authentizität, Gleichwürdigkeit und Verantwortung. Damit gestalten wir die Qualität der Beziehung und die grundlegende Atmosphäre in unserer Familie.

 

Grundsätzlich gehen wir davon aus, dass Eltern wie Kinder stets ihr Bestes geben und alles Verhalten einen guten Grund hat - auch, wenn wir diesen nicht erkennen können. Wir hören auf, Verhalten der Kinder in Kategorien wie „richtig“ / „falsch“ einzusortieren. Wir erkennen an, dass Kinder in völliger Abhängigkeit von uns Eltern leben. Sie müssen andauernd die Balance finden im Spannungsfeld zwischen Kooperieren mit uns und der Wahrung ihrer Integrität.

 

Bei Konflikten beginnt ein Lernweg für uns Eltern: Bei für uns unpassendem Verhalten sehen wir das Kind als Beziehungspartner und gehen in den offenen (bedürfnisorientierten) Dialog auf Augenhöhe.

 

Unvereinbar mit dieser Haltung sind Erziehungsmaßnahmen wie Bestrafen, Belohnen, Befehlen, Manipulieren, Gewaltanwendung in jeglicher Form als auch die autoritäre Durchsetzung von Befehlen und Maßnahmen.

 

 

Der Kompass - die Werte von Jesper Juul

 

Jesper Juul gibt uns Eltern Werte mit auf den Weg, welche die in der Familie bereits vorhandenen ergänzen. Diese sind Gleichwürdigkeit, Integrität, Verantwortung und Authentizität.

 

Mit Gleichwürdigkeit meint Jesper Juul, dass alle Familienmitglieder als Menschen die gleiche Würde haben, deren Bedürfnisse, Grenzen und Integrität respektiert und ernstgenommen wird. Dabei bedeutet Gleichwürdig nicht gleichberechtigt - die Führungsrolle verbleibt bei den Eltern.

 

Integrität bedeutet, sich als Individuum zu definieren, seine Bedürfnisse zu spüren und diese in einer persönlichen Art äußern zu können. Kinder müssen sich nicht „verbiegen“, sondern können nach ihren Werten leben, dürfen auch unangenehme Gefühle wie Frustration und Wut haben und zeigen. Und auch Kinder haben persönliche Grenzen, die nicht verletzt werden.

 

Mit dem Wert „Verantwortung“ weist Jesper Juul den Eltern die klare Verantwortung für die Atmosphäre in der Familie als auch für ihr eigenes Wohlergehen, ihre Gefühle und Handlungen zu. Gleichzeitig wird dem Kind die altersgemäße Selbstverantwortung für sein Wohlergehen, seine Gefühle und seine Handlungen gelassen.

 

Authentizität bedeutet, „echt sein“. Wir steigen aus Rollen aus, die wir meinen, spielen zu müssen. Wir sind nicht mehr der konsequente strenge Vater, die verständige liebe Mutter - sondern wir zeigen uns als echte Menschen mit unseren Gefühle, Wünschen und Fehlern.

 

 

„Beziehung“ statt „Erziehen“? Werdet Leuchttürme!

 

Viele Eltern und Fachleute tun sich schwer mit dem Erziehungsbegriff. Denn oft ist mit „Erziehung“ das Bild verbunden, dass die Kinder durch elterliche Maßnahmen geformt werden müssen.

 

Beziehungsorientiert bedeutet statt dessen, dass auf die klassischen Erziehungsmaßnahmen verzichtet wird. Statt „Kindererziehung“ sprechen viele lieber von „Kinder begleiten“ um damit deutlich zu machen, dass es mehr um Offenheit, Dialog, Respekt, Gleichwürdigkeit, Wahrung der eigenen Grenzen, Authentizität, Integrität, Ehrlichkeit und Selbstverantwortung geht.

 

Ich verwende hier und auf dieser Webseite dennoch den Erziehungsbegriff - um ihn neu aufzuladen mit dem an Jesper Juul angelehnten Bild, dass Erziehung bedeutet, Leuchtturm für die Kinder zu sein, um den Kindern Orientierung bei ihrem Lebensweg zu geben.

 

„Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht…“
- Afrikanisches Sprichwort -

 

 

Wie erlerne ich beziehungsorientierte Erziehung?

 

Die meisten Väter und Mütter haben in ihrer eigenen Kindheit einen ganz anderen Umgang erlebt. Deshalb erscheint die bedürfnis- und beziehungsorientierte Erziehung zunächst für viele ungewohnt.

 

Wer sich damit auseinander setzt merkt allerdings schnell, wie angenehm das Miteinander mit den Kinder wird.

 

Die Haltung der bedürfnisorientierten Erziehung in sein Elternleben zu integrieren ist ein Übungsweg und geht nicht von heute auf morgen. Der erste Schritt dorthin beginnt mit dem Wunsch, mit den eigenen Kindern neue Wege zu gehen.

 

Zur Unterstützung bieten wir Elternkurse an, um in Kleingruppen von Eltern diese Haltung einzuüben. Hier geht es zum aktuellen Kursprogramm...

 

Wer es intensiver mag, der findet in unseren Erziehungsberatungen einen Weg, um im 1:1-Dialog mit einer erfahrenen Familienberaterin die beziehungsorientierte Haltung an konkreten Herausforderungen aus der Familie zu arbeiten. Klicke hier, um mehr darüber zu erfahren...

 

 

Woran scheitert beziehungsorientierte Erziehung?

 

Das Einüben dieser Haltung bringt Eltern immer wieder an ihre Grenzen. Und meistens immer dann, wenn die Zeit knapp und der Stresslevel hoch ist. Wenn das Kind nun einmal nicht so will, wie die Eltern es haben wollen. Wenn auch langes Einreden auf das Kind keine "Einsicht" bringt - dann sind hilflose Eltern am Verzweifeln und rutschen ab in alte Muster, die sie eigentlich ablegen wollten.

 

Die meisten von uns Eltern wurden eher autoritär erzogen. Deshalb braucht es ein bewusstes Einüben der beziehungsorientierten Haltung. Das ist herausfordernd - denn wie gerne würden wir besonders in stressigen Situationen einen einfachen Erziehungskniff anwenden, um die Situation (in unserem Sinne) zu retten. Aber diese „One-Size-Fits-All“ Methoden gibt es hier nicht. Das ist auch gut so, denn solche allgemeinen Ratschläge können weder der jeweiligen Situation noch dem individuellen Wesen des Kindes oder dem der Eltern gerecht werden.

 

Wenn Eltern zu hohe Maßstäbe an sich anlegen, wenn sie perfektionistisch sein wollen, dann wird die bedürfnisorientierte Erziehung knöchern und verliert ihre Lebendigkeit. Leichtigkeit und hohe Ansprüche schließen sich aus. Es ist normal und echt ok, als Eltern Fehler zu machen!

 

Ein besserwisserisches Umfeld ist dabei nicht förderlich. Da kommen schon mal Querschüsse wie „Kinder brauchen eine klare Ansage!“, oder „Kinder müssen Konsequenzen fühlen!“ - Mit solchen Aussagen können sich Eltern, die mit der beziehungsorientierten Erziehung beginnen, leicht aus der Spur bringen lassen. Klar, Kinder, die autoritär erzogen wurden, „funktionieren“. Aber der Preis, den sowohl die Kinder als auch die ganze Gesellschaft bezahlt, ist immens.

 

Mit der beziehungsorientierten Erziehung gibt es einen sehr gut funktionierenden Weg, der allen zugute kommt.

 

 


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