Von Martin Bucher
Der 2019 verstorbene dänische Familientherapeut Jesper Juul war ein Leuchtturm für viele Eltern und Menschen, welche mit Kindern arbeiten.
Wegweisend war seine Erkenntnis, dass in der "Erziehungsarbeit" mehr als jede Methode entscheidend war, wie ein Kind die Beziehung der Eltern und das Miteinander in der Familie erlebt - besonders auch im Konfliktfall.
Durch ihn wurde "Erziehung" zur Arbeit an den Mustern der Erwachsenen - ganz nach dem Zitat von Karl Valentin "Wir brauchen unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach“.
Oder in Jesper Worten: "Kinder werden mit allen sozialen und menschlichen Eigenschaften geboren. Um diese weiterzuentwickeln, brauchen sie nichts als die Gegenwart von Erwachsenen, die sich menschlich und sozial verhalten. Jede Methode ist nicht nur überflüssig, sondern kontraproduktiv, weil sie die Kinder für ihre Nächsten zu Objekten macht."
Die zentralen Werte, welche er Eltern mitgab, waren Gleichwürdigkeit, Integrität, (Selbst)Verantwortung und Authentizität.
„Wegweisend war seine Erkenntnis, dass in der "Erziehungsarbeit" mehr als jede Methode entscheidend war, wie
ein Kind die Beziehung der Eltern und das Miteinander in der Familie erlebt, besonders auch im Konfliktfall."
Unser gemeinsamer Rahmen
Seine Werte und Haltung bilden den gemeinsamen Rahmen unserer Arbeit als Familienberater und Elterncoaches im Team von online-familienberater.de. Über Jespers bewegte Lebensgeschichte ist schon viel geschrieben worden, beispielsweise auf Wikipedia. Spannender finde ich, wie er „so war“, als Mensch.
Da trifft es sich gut, dass einige aus unserem Team ihn im Laufe ihrer Ausbildungen direkt erleben durften. Und so fragte ich im Sommer 2022 Dieter, Julia, Karin und Sonja, wie sie den Menschen "Jesper" erlebt hatten und was sie an ihm besonders beeindruckend fanden.
Den erfrischend lebendigen Zusammenschnitt dieser Interviews könnt ihr hier unserem YouTube-Kanal anschauen:
Bodenständig, menschlich und authentisch
Als die vier befragten Familienberaterinnen auf Jesper Juul trafen, war er bereits eine Berühmtheit - ja, für viele hatte er schon einen Guru-Status. Das habe Jesper allerdings nicht abgehoben werden lassen. Ganz im Gegenteil, er wurde als bodenständig, menschlich und authentisch erfahren. Dieter erinnert sich noch gut daran, dass Jesper ihm immer das Gefühl gegeben habe, ihn alles fragen zu können. Für ihn war keine Distanz zu spüren: „Er konnte im Grunde mit jedem ins Gespräch gehen und eine Beziehung aufbauen - das konnte er super gut!“
Jesper wäre es allein um die Arbeit mit und für Familien gegangen, niemals um ihn als Person. Er hätte weder jemandem gefallen noch irgendwen beeindrucken wollen. An seinem Auftreten wäre nichts künstliches oder aufgesetztes gewesen. Karin: "Er war einfach «Jesper!»".
„Jesper ging es allein um die Arbeit mit und für Familien - niemals um ihn als Person."
Zuhören und Zeit lassen
In seinen Seminaren und Workshops beeindruckte er durch innere Ruhe und Klarheit. Bei der Arbeit mit Familien sei es ihm gelungen, dass die Eltern sich verstanden gefühlt hätten. Dieter: "Und es war immer irgendwo auch ein Dialog". Wurde ihm eine Frage gestellt, dann habe er die Augen geschlossen und sich gesammelte. Bisweilen so lange, dass Karin sich manchmal fragte, ob er schlafen würde. Dieses "in sich hinein spüren" hat sie sehr imponiert - und die damit einhergehende Erlaubnis: "Ja ich darf mir auch Zeit lassen mit Antworten".
Wenn er dann antwortete, habe er klar und präzise auf den Punkt gebracht, worum es ging. Dabei hätte er sehr sicher "in der Wahrheit die er verbreitet hat" (Julia) über den Umgang mit Kindern gewirkt und wie wichtig die Beziehung im Umgang in der Familie sei.
„Ihm ist es gelungen, dass die Eltern sich verstanden gefühlt haben."
Klar und direkt in seinen Antworten
Seine Antworten wären allerdings nicht immer angenehm für die Fragenden gewesen - er habe nicht immer das gesagt, was man vielleicht hören wolle. Und manchmal hätten seine Aussagen auch hart gewirkt. Sein Credo sei gewesen: "Sag das, was du willst, klar und in persönlicher Sprache!". Ein Beschönigen oder vorsichtig irgendwas Ansprechen, damit ja keiner verletzt wird, hätte er abwertend als "pädagogische Gehabe" bezeichnet und wäre von so etwas sehr genervt gewesen.
Auch Karin erinnert sich an die Klarheit von Jesper in seinen Antworten. Damals hätte sie es als beeindruckend empfunden, dass er auch einfach "Nein" sagen konnte, ohne sich ausschweifend dafür zu erklären. Karin: "Und dann habe ich gedacht: genau, das ist es: «Nein!»; - «Nein» ist ein ganzer Satz. Und das ist das was er auch immer sagt. Und er lebte das!"
„Sein Credo war: Sag das, was du willst, klar und in persönlicher Sprache!"
Offen und unangestrengt
Obwohl Jesper eine Autorität in seinem Gebiet gewesen sei und große Selbstsicherheit ausgestrahlt hätte, wäre er nie autoritär oder arrogant aufgetreten. So hätte er sich die Offenheit behalten, immer wieder neu hinzuschauen. Er habe nicht auf etwas bestanden und keine vorgefertigten Lösungen präsentiert, nach dem Motto: „So muss man das machen!“. Karin: "Jesper hat auch gesagt, er ist auch immer noch ein Lernender".
In seinen Familienberatungen habe er nie angespannt oder angestrengt gewirkt. Für Sonja habe daran habe auch seine Einstellung zum Nichtwissen einen großen Anteil, durch den er den Leistungsdruck aus Beratungen heraus genommen habe. Jesper Juul habe vorgemacht, dass es es völlig in Ordnung sei zu sagen: "Ich weiß es auch gerade nicht", oder "im Moment habe ich keine Antwort". Ihr ist heute klar, dass das Ansprechen von Ratlosigkeit nicht schlimm, sondern im Gegenteil, auch ein Zeugnis von Kompetenz sein kann! Wenn sie sich in Beratungen die Erlaubnis gibt, auch einmal nicht zu wissen, dann würde sie das ungemein entspannen. Dafür ist sie ihm bis heute sehr dankbar.
„Er hat sich die Offenheit behalten, immer wieder neu hinzuschauen."
Haltung - keine Methode!
Als Essenz haben die vier Familienberaterinnen von Jesper Juul mitgenommen, dass es wirklich bei allem um Haltung geht. Dass es für die Herausforderungen in den Familien keine vorgefertigten Lösungen gibt, sondern dass sie sich immer wieder neu einlassen dürfen auf das, was ihnen in gerade begegnet. Und dass das, was er gelehrt hat, eben keine Methode sei dafür, wie man mit Kindern oder Erwachsenen umgeht.
Für Julia hat er ein Gefühl, welches sie schon lange hatte, in Worte gefasst: Das Gefühl, wie ein Umgang mit Kindern heilsam ist für beide Seiten. Dieter empfand allein schon das Zusammensein mit ihm als eine Bereicherung. Und Karin bemerkt, dass ein Mensch wie Jesper Juul in unserer heutigen Zeit total fehlt.
„Jesper hat vorgelebt, dass es bei allem um Haltung geht. Und dass das, was er gelehrt hat, eben keine
Methode ist."
Schau dir das Interview auf YouTube an:
Wir für Familien...
Bildnachweis: Lucarelli, CC-BY-SA-3.0, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/
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