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Achtsame elterliche Führung

Die Bedürfnisse und Gefühlsäußerungen meines Kleinkindes (fast 3) entwickeln sich stetig in neue Formen. In der einen Phase heißt es „selber machen“ um jeden Preis, das Autonomiebedürfnis steht im Vordergrund, und wehe, WEHE, Mama!, du machst den Reisverschluss meiner Hose zu, nur weil ich dich davor gebeten habe, den Knopf zuzumachen, den Reisverschluss wollte ich SELBER zumachen und ich will gefragt werden! Jetzt fühle ich mich so unverstanden, so klein und unwirksam, dass ich brüllen muss. Diese Lektion hatte ich verstanden.

 

Nun sind wir in der nächsten Phase angelangt und da konnte man in der Wohnung Westen solche absurden Dialoge hören: 

 

Ich: „Essen ist fertig!“
Tochter:  „Ich WILL aber nicht essen!“ 
Ich: (irritiert:) „Du musst ja auch nichts essen, kein Problem. Wir sitzen hier und essen; wenn du magst, setz dich dazu.“
Tochter: „Nnnnnnein!! Ich will NICHTS essen!“ (Wutgeheul beginnt)
Ich: „Du MUSST ja auch nichts essen! HAAALLOOO!“ (nicht möglich gegen das Wutschreien anzukommen)
Tochter: „Ich WILL aber was ESS-SEN!!“
Ich: „Hä?? Ja, dann setz dich hin! Was ist denn los? Mannomann!“ (Kopfschütteln meinerseits)
Tochter: „Ich will aber nicht DAS!“ (Tochter stößt den Teller energisch weg, darauf ein Gericht, das ihr eigentlich schmeckt)

 

...und so fort. 

 

Zunächst konnte ich es einfach nicht verstehen. Mit meinem Mann hatte meine sonst sehr kooperative und ausgeglichene Tochter ähnliche Dialoge, er reagierte ähnlich wie ich.

 

Ich ging innerlich der Frage nach und stellte als erstes fest, dass dieses Verhalten oft bei ihr vorkam, wenn sie hungrig oder müde war. Bisher hatte sie Hunger immer problemlos mitteilen können, aber momentan machte ihr die kleine Müdigkeit über den Mittag irgendwie mehr aus. Und wenn sie Nähe brauchte, hatte sie bisher immer mein „Soll ich dich mal in den Arm nehmen?“ bejaht. Das konnte sie jetzt nicht mehr. 

 

Ich kam zu dem Schluss, dass wir auf der Sprachebene hier falsch waren. Jede Frage, jede Aussage, jedes Eingehen führte zu noch mehr Wut und ihr sonst wohl-geordnetes Reden ergab keinen Sinn.

„Ich bleibe ruhig. Ich gehe innerlich drei Fragen durch: Hunger? Müde? Nähebedarf? Und dann gehe ich in die Führung.“

Also gehe ich jetzt einen anderen Weg: Ich spreche nicht. Ich bleibe ruhig. Ich gehe innerlich drei Fragen durch: Hunger? Müde? Nähebedarf? Und dann gehe ich in die achtsame elterliche Führung.

 

Das läuft jetzt so: Sie fängt an zu toben, ich gehe ruhig hin, nehme sie in den Arm. Sie wehrt sich, ich lasse sie los und gehe etwas zurück um ihr zu signalisieren, dass ich nicht über sie hinweggehen will. Dann nehme ich sie ruhig wieder in den Arm, spätestens bei diesem zweiten Versuch lässt sie es zu, ich hole mit ihr auf dem Arm etwas zu essen und ein Buch, wir setzen uns aufs Sofa, ich füttere sie und lese ihr vor.

 

Und es ist tatsächlich gerade genau das Richtige. Egal, wie oft sie dabei vielleicht noch ruft „ich will aber ein ANDERES Buch!“ oder „ich WILL nicht das Müsli“, ihre Körperhaltung zeigt, dass sie gerne auf meinem Arm ist, sobald wir sitzen macht sie bereitwillig den Mund auf und isst viel, kuschelt sich an mich beim Vorlesen und danach ist die Welt wieder in Ordnung.

 

Ich verstehe ihre Botschaft jetzt so: „Ich habe schon lange gelernt, meine Bedürfnisse mitzuteilen. Momentan kann ich das aber nicht. Ich bin mit einer anderen Entwicklungsaufgabe gerade so beschäftigt, dass du das für mich im Blick haben musst. Autonomie ist gerade nicht mein Thema.“

 

Wenn ich nun auf das Schreien meines halbjährigen Sohnes eingehe, ganz selbstverständlich mit der Haltung, die ich für meine Tochter erst wieder herauskramen musste, denke ich mir, dass Sprache auch ganz schön das Potential hat, von anderen Wahrnehmungen abzulenken und wie wichtig es ist, achtsam zu bleiben. 

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